Bild, Abbild und apparative Distanz
Während Dietrich Walther auf Found Footage von frei zugänglichen (meist privat-erotischen) Internet-
portalen zurück greift, diese von ausgewählten Bildinformationen bereinigt und ein Destillat auf die
Leinwand überträgt, arbeitet Jürgen Baumann mit realen menschlichen Körpern, die er u.a. Stück für
Stück mit der Kamera abtastet, um mit den erzeugten Einzelbildern ein Tableau zusammen zu setzen,
dass das dokumentierte Objekt im Prozess der Segmentierung vollkommen seine ursprüngliche Bedeutung verlieren lässt. Diese beinahe brutale Nähe hebt die Distanz zwischen Fotograf und Objekt vollkommen auf.
Das fragile Gleichgewicht von Distanz und Nähe, von respektvollem Abstand und intimer Grenz-
überschreitung wird konsequent überspannt und bis aufs Äusserste vorangetrieben.
Jürgen Baumann generiert eine neue Körperlichkeit, lässt sich neue Identitäten entwickeln und formuliert
in der Aneinanderreihung von Einzelbildern abstrakte Wesen. Er bleibt in seiner Arbeit beim Bild, einem
Bild, das sich aus Sequenzen generiert, sich in eine fast landschaftlich zu nennende Ganzheit verwandelt
und als Projektionsfläche anbietet. Baumann liebt die Ambivalenz im Kopf der Betrachtenden: Sind es
erotische Motive oder z.B. einfach nur aneinander gereihte Höhlungen im Fruchtfleisch von Pflaumen
nach dem Entfernen der Obstkerne?
Auch Dietrich Walther zwingt uns durch die Transformation von flüchtigen Bildern aus dem Netz,
meistens von privat- erotischen Internetseiten oder in seinen Videoarbeiten zur Konzentration und
Fokussierung. Das Aus-dem-Zusammenhang-Lösen einzelner Motive und ihre Übertragung in gemalte
Solitäre auf Leinwand oder grossformatige Digitalcollagen destilliert auf drastische Weise den
grundlegenden Konflikt jeder medialen Wahrnehmung, nämlich die Differenz zwischen dem Innen und dem Aussen, die Grenze zwischen körperlicher Unmittelbarkeit und apparativer Distanz. Anstelle einer portrait-
haften Darstellung individueller Personen legt der Künstler den Fokus auf eine Analyse von Körperkonstellationen, Konturen und Gesten und beleuchtet die Identitären Deformationsprozesse des
Subjekts und das offensichtlich gestörte Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatheit in unserer globalisierten medialen Gegenwart. Ein geradezu sezierender Blick, folgerichtig durch Reduktion der Bildelemente bzw. der Bildinformationen umgesetzt, ist Kern der Bildsprache in Walthers Arbeiten.
Dr. Ralf F. Hartmann
In einer Ausstellung in Ihrem Haus werden wir unsere Arbeiten einen intensiven aber auch konfrontativen
Dialog führen lassen. Wie in den Computerfotosimulationen zu sehen ist, möchten wir unsere Werke in räumlicher Trennung als auch in unmittelbarer Nähe zueinander präsentieren. Das unterstreicht das
Trennende und Verbindende zwischen beiden künstlerischen Positionen. J. Baumann arbeitet in extremer
Nähe zum realen Objekt und definiert somit einen sehr kleinen Bildausschnitt, D. Walther bezieht seine Bildquellen als Found Footage aus den Tiefen des World Wide Web, beschränkt die Reduktion von Bildinformationen aber auf als Körper erkennbare Inhalte. Beide lassen wir unsere Objekte eine
Transformation durchleben, die in der Montage als Tableau oder auch als mehrteiliges Bild Neues entstehen lässt, das mit der ursprünglichen Bildquelle nicht mehr viel zu tun hat. Beide arbeiten wir mit dem
menschlichen Körper, der, so wie wir ihn zeigen, durchaus Verunsicherung und Unbehagen erzeugen kann.
Die Rezipient*innen dieser Arbeiten müssen sich einlassen auf ein Wechselspiel zwischen Betrachter und Betrachtetem, Nähe und Distanz. Sie erleben die De- als auch Rekonstruktion menschlicher Körper und
werden letztendlich angeregt, ihre eigene Aufmerksamkeits-ökonomie zu überprüfen, die zunehmend vom durchscrollen einer grossen Bilderflut aus dem Netz geprägt ist.
Dietrich Walther, Jürgen Baumann